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Startbahn West auf schwäbisch
Ein Bericht von der Schloßgartenräumung am 30.09.2010

„Den find ich gut“ meint ein Zugbegleiter im ICE nach Stuttgart zu den gelben Anti-Stuttgart-21-Aufklebern auf meinem Geldbeutel. Als er die Fahrkarte zurück gibt, fügt er hinzu: „Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist einer unserer pünktlichsten und zuverlässigsten Bahnhöfe – heute.“

Eine Verschlechterung der Bahnanbindung Stuttgarts wegen eines Bahnhofneubaus – dieses Paradoxon ist eine der Hauptbefürchtungen, die den Massenprotest gegen das Projekt „S21“ nähren. Viele sehen darin ein Immobilienprojekt mit ICE-Anschluß und Schnellverbindung zum Flughafen. Dieser hat vor einigen Jahren auch 112 Mio. Euro in die Kasse des Bahnprojektes überwiesen. Man hofft auf 1 Million zusätzlicher Fluggäste pro Jahr in Stuttgart. Entsprechend sind auch viele GegnerInnen einer zweiten Startbahn auf den Fildern beim Bahnhofprotest dabei.

Inzwischen läuft mein Zug in den Stuttgarter Hauptbahnhof ein. Es ist bereits dunkel, auf den Bahnsteigen stehen ein paar Bundespolizisten. Es sind aber weniger als üblich. Nach aller Erfahrung ist das kein gutes Zeichen.

„Peter komm mal nach Stuttgart, dort wird es einen Protest geben, da kannst Du durchaus einmal gewinnen.“ Diese Worte einer Stuttgarterin – gesprochen nach der Räumung des Kelsterbacher Waldcamps – sind mir noch im Ohr. Seit zwei Monaten bin ich bei der Gruppe der Torwächter dabei, die permanent das Baustellentor am Nordflügel besetzt und blockiert hat. Seit dort nichts mehr zu beschützen ist, haben wir unsere Aktivitäten in den Schlossgarten verlagert. Der Schlossgarten ist am heutigen lauen Frühherbstabend ein einziges Lichtermeer aus Grabkerzen.

Mein Ziel ist der Baum mit der Parkschützer-Nummer 50, den ich bei einer drohenden Räumung besetzen möchte. Er ist ein eher mickrige Hainbuche, er hat aber so viele Äste, dass ich auch ohne Kletterzeug gut raufsteigen kann.
Die Nacht verläuft – abgesehen von ein paar krakeelenden Alkoholikern – ruhig. Oben im Baum kreischt ein Papagei und lässt gelegentlich ein paar Knöddel fallen.

Auch der Morgen ist ruhig. Es bleibt Zeit, hundert Grabkerzenlichter auszupusten. Zum Frühstück bin ich bei den Kolleginnen vom Baum „83“, einer ausladenden Kastanie, eingeladen. Gegen 09:30 Uhr strömen zahlreiche Schüler zur Jugenddemo und schauen kurz im Park vorbei. Es ist der Zeitpunkt, an dem Alarm ausgelöst wird, da massive Fahrzeugbewegungen der Polizei gemeldet wurden.

Wir richten uns unter unseren Bäumen ein, in Erwartung der Trillerpfeifen, welche die Umstellung des Parks durch die Polizei melden sollen.

Es kommt aber ganz anders. Auf einmal steht ein durchtrainierter Mann vor mir und sagt: „Sie gehen hier weg – Polizei“. Als ich ihn ungläubig anglotze, öffnet er seinen Overall und enthüllt eine Warnweste mit der Aufschrift „Polizei“ Auf meinen Baum komme ich nicht mehr, ich setze mich hin, werde weggeschleift... Immerhin, die Besetzung von Kastanie „83“ ist alarmiert.

Mit dieser Überrumpelungstaktik einer Vorhut von ca. 20 LKA- und Kripo-„Zivis“ startet kurz nach zehn Uhr die Räumung des Schlossgartens.

Am Anfang scheint die Rechnung aufzugehen. Viel zu wenige sind wir, die den gefährdeten Streifen am Rand des Busbahnhofs besetzt hatten. Das Bild ändert sich aber schlagartig. Über SMS, Twitter und Handy-Alarm informiert, hat die Schüler-Demo Kurs auf den Schlossgarten genommen. Niemand hält sie auf. Die Taktik der BFE-Einheiten, in 5er Gruppen einzelne „Störer“ festzusetzen, verpufft. Kreischende und johlende Schüler besetzen Bäume, Wege und Polizeifahrzeuge.

Es dauert eine ganze Weile, bis die Polizei reagiert und räumt. Die Cracks vom Sonderkommando gegen die Mittelstufe der Waldorfschule – das kann nicht gut gehen-. In dieser Phase, so berichtet später ein Demo-Sanitäter, gab es besonders viele Verletzte, darunter Nasenbrüche. Gegen die Blockade der Straße der Straße, auf der die Fahrzeuge mit den Absperrgittern vorrücken sollen, werden zwei Wasserwefer eingesetzt.

Ich hocke derweil auf einer der Kastanien und sehe den Wasserwerfereinsatz näher rücken. Schließlich ist der Biergarten, der zentral im Park liegt, erreicht. Hier kommt es zu besonders heftigen Ausfällend er Polizei, als sich Demonstranten mit Biertischen gegen den Wasserstrahl schützen. Hier kommt es auch zu dem wohl gravierendsten Vorfall, bei dem einem 67-jährigen Mann mit dem Wasserstrahl die Augen ausgeschossen wurden. Fotos zeigen den Mann mit erhobenen Armen in Richtung Wasserwerfer stehen, und zwar vor dem strahl. Dieser muß anschließend auf das Opfer geschwenkt worden sein.

Das Kräfteverhältnis verschlechtert sich mittags weiter zu ungunsten der Polizei. Diese schafft aus Personalmangel das nahe liegende nicht – die stadtseitigen Zugänge abzuriegeln und die Blockierer einzukesseln. Der Aufenthalt im Baum hat damit seinen Zweck vorläufig verloren. Zusammen mit einigen Schülern laufe ich zur Blockade vor.

Der Park wirkt inzwischen wie ein Schlachtfeld, Erinnerungen an den Startbahn-West-Oktober 1981 kommen bei mir hoch. In der Luft ist der stechende Gestank von Tränengas. Noch eine Parallele zu damals: Auf ein Viertel Aktive kommen drei Viertel Zuschauer. In der Blockade geht es sehr diszipliniert zu. Immer wieder der Ruf: hinsetzen. Nach den Schülern sind die Rentner gekommen. Am Zaun versuchen sie, das Vordringen einer BFE-Einheit und das Aufrollen der Sitzblockade zu unterbinden. Es gibt viele Verletzte, weil Tränengas ins Gesicht gesprüht wird. Als gegen 16:00 Uhr die Absperrgitter aufgestellt sind, ist die Phase des aktiven Protestes vorbei. Trotzdem: Auch der Polzei selbst war klar, dass sie mit ihren unverhältnismäßigen Einsatz der Verlierer war. Gescheitert an den Schülern mit ihre Unbekümmertheit.

Meinen Baum „50“ habe ich, tränengasdurchnäßt, im Stich gelassen. Aber: er ist der letzte in seiner Reihe, der – eingezäunt zwar – stehen geblieben ist. Es gibt also eine zweite Chance. Einig sind sich die meisten Demonstranten: „S21“ wird nicht im Parlament sondern auf der Straße gekippt. Die Proteste werden also weiter gehen.

Bericht und Bilder: Peter Illert

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