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04. Dezember 2017, Frankfurter Flughafen, Terminal 1

Zweihundertdreißigste Montagsdemo

Hans Schinke
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

Advent ist die stille Jahreszeit. Es ist eine Zeit der Einkehr und Besinnung, aber auch der großen Hoffnung. Deshalb soll es heute Abend nur um uns selbst gehen, frei nach dem Bestsellertitel von David Precht "Wer sind wir, und wenn wie viele?" Meine Rückschau auf sechs Jahre Protest gegen die neue Landebahn ist ein ganz persönlicher Blick in den Spiegel. Deshalb muss sich nicht alles, was sich sage, mit den Positionen, Bewertungen und Einschätzungen im Bündnis decken.


1. Die Initialzündung am 21. Oktober 2011 oder Wie alles anfing
2013 habe ich in einem Beitrag für die OFFENBACH POST die Protestbewegung wie folgt beschrieben: "Am 21. Oktober 2011 eröffnen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier zusammen mit dem Vorstandsvorsitzenden der Fraport AG, Dr. Stefan Schulte, die neue Nord-West-Landebahn am Frankfurter Flughafen. Seitdem quellen sie jeden Montag ab 17:00 Uhr aus den S-Bahnschächten am Airport. Sie haben Fahnen, Banner, vorgefertigte Schilder und Plakate mit selbst gemalten Sprüchen dabei. Sie tragen kreativen Kopfschmuck und Protestbuttons an der Brust. Ausgerüstet sind sie mit Trommeln, Trillerpfeifen, Kochtöpfen und Plastikeimern. Diszipliniert streben sie zu ihrem traditionellen Treffpunkt im Terminal 1................. Beim obligatorischen Rundgang ziehen die Ausbaugegner lärmend durch das Terminal und skandieren lautstark "Jeden Montag 18 Uhr bringen wir den Krach retour" oder "Lärm und Dreck, die Landebahn muss weg." Zitat Ende .Explosionsartig schwillt die Zahl der Demonstranten an: 400 am 14. November 2011, 2.000 am 22. November, ca. 3.000 am 28. November und schließlich 5.000 am 20. Dezember 2011. Die Wucht des Protests und die Welle der Empörung scheinen grenzenlos. Allerdings auch die Selbstüberschätzung. Ich erinnere mich noch an die siegestrunkene Prophezeiung von Johannes Faupel aus Sachsenhausen, der mit dem Lärmmobil: "Ende 2012 wird die Landebahn wieder geschlossen." Angesichts der zu bohrenden dicken Bretter und des Beharrungsvermögens der Politik habe ich das schon damals für völlig unrealistisch gehalten.


2. Soziologie des Protests – Wer sind eigentlich diese (W)Mutbürger?
Weiter geht es in meinem Artikel in der OFFENBACH POST. "Die Menschen, die jeden Montag am Airport Frankfurt aus den S-Bahnschächten quellen, kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Sie entsprechen dem Ideal des politisch aufgeklärten Bürgers. ….. Es sind Menschen aus der bürgerlichen Mitte, die hier zusammen kommen, überdurchschnittlich qualifiziert, flexibel, gewohnt, ihre Interessen zu artikulieren, eher Besitzer eines Reihenhäuschens als Mieter im Geschosswohnungsbau. Die Generation der Grauköpfe ist auffällig stark vertreten, ebenso die Frauenfraktion. Berufstätige sind in der Minderheit - wie auch um diese Uhrzeit? - , ebenso Familien mit Kindern……... Was sie ...... alle verbindet, ist das kollektive Leiden unter dem Fluglärm." Zitat Ende.

Ich hoffe, Sie erkennen sich ein bisschen wieder.
Was sagt dagegen im Auftrag der Stiftung Marktwirtschaft die Wissenschaft nach Umfrage bei 532 Demonstranten hier im Terminal 1 im Juni 2013? "Die Umfrageergebnisse bei der Protestbewegung am Frankfurter Flughafen offenbaren eine bedenkliche Tendenz zur Aberkennung der Legitimation der Institutionen und Akteure des politischen Systems bei den Befragten. Eigene Interessen werden oft absolut gesehen, alles andere bei geringer Kompromissbereitschaft als ‚Partikularinteressen' abgetan." Die Demonstranten wiesen Merkmale einer Misstrauensgesellschaft insbesondere gegenüber den Parteien auf. Es handele sich meist um ältere, hoch gebildete, zeitreiche und ressourcenstarke Protestierende mit einer politischen Mitte-Links-Orientierung, die aber nur begrenzt gesamtgesellschaftlich repräsentativ seien.

Was soll denn das nun heißen? Meines Wissens hat noch niemand die Legitimation des Bundestags in Frage gestellt, nur weil auch er die deutsche Gesellschaft nicht repräsentativ abbildet. Den sog. "Woopies", den materiell gut gestellten Rentnern und Pensionären, wird vorgeworfen, sie machten es sich zu einfach, aus der Position materieller Sicherheit heraus Forderungen zu stellen, weil sie ja - anders als z. B. die Arbeitnehmer am Flughafen - die wirtschaftlichen Risiken am Ende nicht zu tragen hätten. Diese Vorhaltung ist schlicht absurd. Welche wirtschaftlichen Risiken tragen denn eigentlich die DAX-Vorstände, wenn sie mal wieder Kostensenkungsprogramme aufs Gleis setzen, deren Folgen nicht sie, sondern ausschließlich ihre Beschäftigten tragen?!!! Besonders niederträchtig finde ich zudem den Vorwurf, die neue Partizipationsdemokratie fördere keineswegs die zivilgesellschaftliche Integration. Sie öffne vielmehr die Schere zwischen den schlecht organisierten Bürgern da "unten" und den gut Ausgebildeten und materiell Abgesicherten da "oben". Folglich werde die soziale Ungleichheit vertieft statt eingedämmt. Da sollte die Stiftung Marktwirtschaft vielleicht besser mal untersuchen, wie massiv Großkonzerne, Finanzindustrie und deren Interessenverbände von oben auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen!!! Oder sie sollte sich mal mit der Frage beschäftigen, warum sich immer mehr Menschen aus dem politischen Raum zurückziehen und überhaupt nicht mehr wählen gehen!!!


3. Visionäre, Spinner oder Wundergläubige?
Sind das denn eigentlich alles nur Spinner, die eine Ausweitung des Nachtflugverbots auf 22 – 6 Uhr fordern und eine Begrenzung der Flugbewegungen auf 380.000? Oder sollten sie gar zum Arzt gehen, wie der verstorbene Ex-Kanzler Helmut Schmidt es einmal empfohlen hat, weil sie Visionen haben, nämlich die Vision, dass die neue Landebahn eines Tages wieder still gelegt wird?
Vision Rauchverbot in Lokalen. Vision Abschaffung der Wehrpflicht. Vision Wiedervereinigung. Vision Abschaltung der Kernkraftwerke. Vision Ehe für alle. Sollten das alles nur Kranke gewesen sein, die eigentlich dringend zum Arzt müssten? Die Geschichte hat Helmut Schmidt eindrucksvoll widerlegt und eher den ersten israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion bestätigt, der einmal gesagt hat: "Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist." Glauben wir also weiter an Wunder. Bleiben wir Realisten. Sind total verrückt nicht eher die anderen, die mit scheinbar alternativloser betriebswirtschaftlicher Sachlogik einen Weltflughafen hier im dicht besiedelten Rhein-Main-Gebiet ausbauen, damit die Gesundheit der Menschen in der Region dauerhaft schädigen und unsere lebens- und liebenswerte Heimat nachhaltig ruinieren? Sind das nicht die eigentlichen Spinner???


4. Protest und Politik
Das Statement von Ferdinand Piech "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn." gilt auch für das Bündnis der Bürgerinitiativen. Von der Politik und den vielen gebrochenen Versprechen – "Am Flughafenzaun ist Schluss", "Mein Ehrenwort für ein absolutes Nachtflugverbot", "Der Bannwald bleibt unangetastet": - sind diese Mutbürger enttäuscht. Sie glauben nicht mehr, dass die Parteien im hessischen Landtag es von sich aus noch richten werden. Mit den etablierten Parteien haben sie ohnehin nichts oder nichts mehr am Hut. Sie wollen eine Lösung für ihr Fluglärmproblem, und zwar rasch, und unterschätzen dabei die Trägheit politischer Prozesse und den massiven Einfluss wirtschaftlicher Gegenmacht. Umso ausgeprägter ist die Lust an der Politikerschelte, wenn Vertreter der damaligen schwarz-gelben Koalitionsregierung pauschal als "Lügner" und "Verbrecher" bezeichnet wurden oder in einem der vielen Protestsongs der hessische Landtag gar als "Saustall". In solchen Beschimpfungen drückt sich die Ohnmacht des einfachen Bürgers gegenüber komplexen Großprojekten aus. Notgedrungen werden undurchsichtige Entscheidungsprozesse personalisiert, um überhaupt noch einen Verantwortlichen für die Misere benennen zu können. Bloße Beschimpfung ist aber keine angemessene Ebene der politischen Auseinandersetzung.


5. Ritualisierung des Protests? – Die Strategiediskussion
Regelmäßig haben Diskussionen über die richtige Strategie die Geschichte von Bürgerinitiativen begleitet. Ich persönlich bin skeptisch, ob eine Radikalisierung des Protests, Aktionen des zivilen Ungehorsams und bewusste Regelverletzungen – z. B. den Anweisungen der Polizei nicht Folge zu leisten, den Umzug durchs Terminal gezielt entgleisen zu lassen, spontane Sitzblockaden - , ob also bewusste Regelverletzungen im Bündnis und bei den Protestbürgern mehrheitsfähig wären. Aufs Rollfeld stürmen, sich an Flugzeuge anketten, das Büro von Fraportchef Schulte verwüsten, würde das die Protestbewegung stärken, ihr Zulauf bringen oder sie nicht eher zerbrechen lassen? Ich persönlich bin auch kein Befürworter der Idee, dass sich die Bürgerinitiativen thematisch breiter aufstellen sollten. Ihre Stärke liegt ja gerade in der Konzentration auf klar abgegrenzte Kernforderungen. Im durchaus sinnvollen Schulterschluss mit Gewerkschaften, Umweltschutzverbänden und Globalisierungsgegnern muss dieser Markenkern unbedingt und zweifelsfrei erkennbar bleiben. Anders als Parteien müssen Bürgerinitiativen Diskussionen über ihren Markenkern hinaus geradezu vermeiden, damit der Grundkonsens als kleinster gemeinsamer Nenner nicht in Frage gestellt wird. Als Interessenvereinigungen sind und bleiben Bürgerinitiativen daher zerbrechliche Gebilde. Auf die Frage, wie der Protest in Zukunft frecher, phantasievoller, kreativer, vor allem aber wieder massenhafter und jünger werden kann, auf diese Frage hat ja bislang noch keiner in den Strategiediskussionen den Stein des Weisen gefunden. Stichwort jünger. Wer 2011 60 Jahre war, ist heute 66. Wer damals 66 war, ist heute 72. Und wer damals 72 war, ist heute bereits 78. Diese Alterung der Protestbewegung ist eine ernstzunehmende Entwicklung und für uns alle hier eine große Herausforderung.


6. Die Bilanz
Hier habe ich nichts zu sagen. Denn Bilanz muss jeder für sich selbst ziehen.

Schlussbemerkung: Wie soll es nun weitergehen?

Wenn wir alle hier älter werden, weil keine Jüngeren nachkommen, wir aber immer eine feste Struktur von engagierten, kraftvollen, zuversichtlichen Menschen brauchen, die unermüdlich das Organisationsrad weiterdrehen, dann müsste die richtige Frage vielleicht eher heißen "Kann es denn überhaupt noch so weitergehen?". Das weiß ich nicht. Aber Eines weiß ich gewiß: Sollten hier eines Tages die Letzten die Lautsprecher abschalten, einer bliebe auf jeden Fall, nämlich der Krach in der Region. Und im Fraport-Vorstand würden zweifelsohne die Sektkorken knallen. Neben den vielen lokalen Initiativen wäre dann die letzte zentrale Stimme gegen den Ausbau in der Rhein-Main-Region verstummt, die auch den Kindern, den Alten, den Resignierten und den vielen wohlwollenden Unterstützern der Bürgerinitiativen stellvertretend ein Gesicht gegeben hat. Die Stadtoberhäupter in den fluglärmbelasteten Gemeinden sowie die Politiker, Ärzte, Rechtsanwälte oder Verbände, die die Ausbaugegner immer wohlwollend unterstützt haben, sie alle stünden auf einmal ganz alleine da. "Macht unbedingt weiter so. Wir brauchen Eure Rückendeckung.", hat Rechtsanwältin Philipp-Gerlach am 17. Januar 2017 den zahlreichen Teilnehmern einer Veranstaltung über die Lärmobergrenze in Offenbach zugerufen. "Wen sollen wir denn eigentlich dann noch vor Gericht vertreten, wenn niemand von Euch mehr da ist?" Das ist die Herausforderung, auf die die Protestbewegung, also wir alle hier, in absehbarer Zeit eine Antwort finden müssen.

"Wer Visionen hat, sollte besser zum Arzt gehen.", so das abschätzige Urteil von Helmut Schmidt. "Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.", hat Ben Gurion optimistisch dagegen gehalten. Und was sehe ich beim Blick in die Kristallkugel? Aahh, ja hier kann ich's lesen. Jetzt hab' ichs: "Bis zur geplanten Eröffnung des Terminal 3 in 2022 wird sich die Zukunft des Frankfurter Flughafens entscheiden, möglicherweise aber auch die Zukunft der Bürgerinitiativen." Wenn das stimmt, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, dann haben beide in den kommenden fünf Schicksalsjahren zumindest etwas gemeinsam.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

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Bündnis der Bürgerinitiativen
Kein Flughafenausbau - Für ein Nachtflugverbot von 22 - 06 Uhr